Anti-Israel-Proteste an den Unis vermittelten beklemmendes Gefühl
Warum lassen sich Menschen beeinflussen? Wie kommt es, dass manche Themen eine besondere Dynamik entfachen, viele Unterstützer/innen gewinnen und zugleich das Mitläufertum begünstigen? Aber auch die Polarisierung Überhand nimmt? Ein Thema war dazu letzte Woche in der Region besonders dominant: Der Pro-Palästina-Protest an der Uni Basel und der Umgang der Universitätsleitung damit. Dieser vermittelte einen ambivalenten Eindruck und wirkte konzept- bisweilen gar machtlos. Eine Einordnung.
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Während auf dem Hof des Israelitischen Gemeindebundes in Basel am 14. Mai Falafel, Hummus und Pita-Brot gegessen wurde und viele Kinder in den Farben Blau und Weiss gekleidet mit ihren Familien und Freunden fröhlich tanzten und gemeinsam «Oseh shalom» am Nationalfeiertag Israels sangen, zeigte sich kaum 500 Meter Luftlinie davon entfernt, am Gebäude des Bernoulium eine Drohkulisse mit anti-israelisch motivierten Personen.
Jüdische Mitbürger/innen, die sich mit Israel verbunden und solidarisch fühlen, fragen sich angesichts dieser Vorgänge, ob in gewissen Kreisen die Nahost-Krise einmal mehr zum Anlass genommen wird, Verschwörungsmythen oder -theorien wieder zu beleben. Das einseitige Narrativ, die Slogans der Israelkritiker/innen, aber auch das Wegschweigen der vielen Begleitumstände, die zum aktuellen Krieg im Brandherd Nahost geführt haben, hinterlassen dabei ein beklemmendes Gefühl. Die Enttäuschung, dass ausgerechnet an Universitäten eine extreme Polarisierung stattfindet und eine Drohkulisse gegenüber Andersdenkende aufgebaut wird, ist alarmierend. Es dürfen Terroristinnen und Terroristen als «Freiheits- und Widerstandskämpfer» hochstilisiert und sogar Devotionalien und tendenziell israelkritische Literatur verteilt werden (Bilder und Zeugenaussagen liegen der Redaktion vor). Die Rede ist von «Globalise Intifada» und «From the River to the Sea». Ersteres wäre eine Terrorwelle, die Israelis und auch Juden weltweit erfassen solle. Zweiteres die Auslöschung des Staates Israel. Die Empathie scheint nur für den einen Teil der Konfliktparteien zu gelten. Die Befürchtung, dass die einseitig konnotierten Proteste gegen Israels Vorgehen in Gaza eigentlich nur der Iran-Hamas-Hisbollah-Propaganda dienen sind nicht unbegründet. Denn die Rolle dieser menschenverachtenden Parteien wird kaum oder gar nicht thematisiert.
Die Bildung eines Mythos›
Angst verbreitet ebenfalls das Aufkommen der «neuen Verschwörungsmythen». War es einst die «Weltherrschaft», von der man den Juden nachsagte, sie würden diese anstreben, ausgelöst durch die «Protokolle der Weisen von Zion», die im übrigen noch immer ein Verkaufsschlager in arabischen Ländern sind, so ist es heute die «Genozid-Keule», die in sozialen Medien und an Demonstrationen geschwungen wird.
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Bei dem im Kontext des Nahostkonflikts inflationär gebrauchten Wort «Genozid» wird ausgeblendet, dass Israelfeinde wie die Hamas oder der Iran diesen in ihrer Charta und/oder als Staatsräson führen. Nun aber wird Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten, des Genozids bezichtigt. Niemand in Israel, ausser einige Wirrköpfe oder Extremisten, die es in jedem Land gibt, will ein anderes Volk «auslöschen». Denn darum würde es ja gehen. Auch die so viel kritisierte Regierung, die sich in einer strategisch und auch ideologisch komplizierten Lage befindet, gibt kein solches Ziel aus.
Was sind aber Verschwörungsmythen oder -theorien? Die Überzeugung, dass bestimmte Ereignisse oder Situationen mit einer speziellen Absicht von Gruppierungen manipuliert werden, scheint so manche dazu anzutreiben, diversen Theorien zu glauben. Das ist a priori nicht falsch und eine kritische Auseinandersetzung in allen Lebensbereichen ist in einem Rechtsstaat erlaubt und erwünscht. Aber: Wenn eine kritische Haltung in einen «Mythos» transferiert, kann es gefährlich werden. Viele dieser «Theorien» unterteilen zudem die Welt in Gut und Böse und machen bestimmte Menschen oder Gruppen zu Sündenböcken, wovor etwa Kommunikationsforscher Marko Kovic in diversen Interviews warnt, und dass der Kampf um Wahrheit und Deutungshoheit auch in den Medien ausgefochten wird.
Ein Blick in die Meinungs- und Kommentationsforen von bazonline, Blick, SRF & Co. zeigt, wie differenziert und kritisch viele Leserinnen und Leser diese Entwicklung sehen, so auch die Proteste an den Unis einschliesslich der Universität Basel. In vielerlei Hinsicht. Sehr kritisch wurde auch der Umgang mit den Demonstrierenden, die gewissermassen die Universitätsleitung am Nasenring spazieren führte und nur Forderungen stellte ohne sich kompromissbereit zu zeigen. Diese konnten sich schnell im Gefühl der Deutungshoheit suhlen. Im Vergleich zu anderen Universitäten in derselben Situation wirkte die Uni Basel angreifbar und konzeptlos.
Trittbrettfahrerei, Mitläufertum und «Filterblasen»
Wie aber kommt es dazu, dass sich eine Bewegung so stark dynamisieren, Trittbrettfahrerei sowie ein «mainstreamhaftes Mitläufertum» erzeugen kann? Es ist sicher ein starkes Gefühl, sich für etwas zu engagieren und sich auf der richtigen Seite der Geschichte zu fühlen. Aber das ist man eben nicht automatisch, nur wenn man mit dem einen Strom mitschwimmt und sich gegen den anderen stemmt. Das Phänomen der «Filterblase» hat eine Antwort darauf: Wenn man nur mit der eigenen Meinung konfrontiert ist, kaum die Gegenseite dargestellt bekommt, immer nur in der eigenen Meinung bestätigt wird und die kontroverse Diskussion eines Themas verpasst, lebt man in einer Meinungsblase.
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Das passiert etwa, wenn man ausschliesslich in Communities mit ähnlichen Interessen verkehrt und beispielsweise die immer gleichen Informationsquellen heranzieht. Online kann es zu demselben Phänomen kommen, indem Informationen bei Suchmaschinen oder Feeds der Sozialen Netzwerke gefiltert werden. Diese Blase nennt sich Filterblase. Der Begriff Filterbubble, wurde 2011 von Politaktivist Eli Pariser in seinem Buch «Filter Bubble: Wie wir im Internet entmündigt werden» geschaffen. Ihm fiel auf, dass er auf Facebook immer weniger von seinen Kontakten, die konservativ orientiert waren, las. Grund dafür war der eigene Algorithmus. Filterblasen entstehen also durch den Versuch, News-Feeds oder Suchergebnisse zu personalisieren: Uns werden durch Algorithmen ausgewählte Themen angezeigt, die uns potenziell gefallen können und unsere zuvor registrierten Interessen bestätigen oder ihnen ähneln. Ein einseitiger Newsfeed kann neben einem verzerrten Meinungsüberblick auch Einfluss auf die Meinung der Nutzer/-innen selbst haben. Durch eine einseitige Berichterstattung wird die eigene Weltansicht verstärkt, mehrere andere dabei ignoriert. Zum einen fehlt dadurch die Möglichkeit der umfassenden Reflexion eines Themas, zum anderen besteht die Gefahr der Anpassung an eine der ständig dargestellten Meinungen. So könnte jemand von einer gemässigten Ansicht zu einer – übertrieben formuliert – extremen Ansicht geführt werden (Quellen: lmz-bw u.a.).
Das Problem mit der ungenügenden Kenntnis und Information
Ebenfalls problematisch: Viele wissen viel zu wenig über das Gegenüber, das kritisiert wird. Beim Thema Israel denken die meisten reflexartig an politische oder religiöse Spannungen und an die aktuellen, oft negativ konnotierten News. Wer sich aber mit Israel und der Gesellschaft vor Ort beschäftigt wird das Land und die Startup-Metropole Tel Aviv auch mit den Begriffen Innovation, Technologie und Unternehmertum in Verbindung bringen. Israel ist, gemessen an der Bevölkerungszahl, im innovativen Sinne das dynamischste und erfolgreichste Land der Welt. Es ist wie bereits beschrieben die einzige Demokratie im Nahen Osten, die zudem divers und offen für viele Lebenskulturen und Strömungen ist.
Diese Fakten, Inhalte und Aufklärungsarbeit versucht man etwa bei der Gesellschaft Schweiz Israel (GSI) zu transportieren. So auch in der Sektion Basel. Wer Israel aus neuen Blickwinkeln sehen und die Bevölkerung dort verstehen und kennenlernen will, hat mit der GSI eine informative Anlaufstelle. Denn Israel hat viel mehr zu bieten als das, was mehrheitlich via den Medien transportiert wird.
JoW
Weitere Details hierzu:
www.schweiz-israel.ch/mitglied-werden.html
Der Beitrag widerspiegelt die Reflexionen des Autors, der sich seit einigen Jahrzehnten mit der oben beschriebenen Thematik intensiv und unter Heranziehung vielfältiger Quellen befasst. Es besteht hierzu keine offizielle Stellungnahme des Verlags.