Die unglaubliche Welt der Systemstöcke

    Die Sonderausstellung präsentiert über 250 besonders faszinierende System- oder Funktionsstöcke, die offensichtlich oder unauffällig einen Zusatznutzen bergen. Da können im Griff für Herren Rasierpinsel und Seife verborgen sein, für Damen ein Riechfläschchen, für den Globetrotter Kompass und Thermometer. Auch Raritäten wie die Stock-Klarinette des Schweizer Instrumentenbauers Ulrich Ammann aus der Zeit um 1800 können bewundert werden.

    (Bilder: zVg) Die Sonderausstellung «Der Spazierstock mit Geheimnis» ist noch bis am 4. Oktober 2020 im Spielzeug Welten Museum in Basel zu sehen.

    Die System- oder Funktionsstöcke erfinderischer Geister sind möglicherweise die faszinierendsten und am meisten gesammelten Gehstöcke. Neben dem sachlichen Begriff Systemstock gibt es auch noch die romantischeren Ausdrücke wie Stöcke mit Innenleben oder Stöcke mit Seele. Allen gemeinsam sind die versteckten Funktionen wie Fächer, Regenschirm, Flasche mit Trinkglas, Parfumflakon oder Klinge. Oder der Gehstock für Ärzte mit Skalpellen und Spritzen. Auch Musikinstrumente, Angelruten, Fernrohre, Nähzeug und Korkenzieher können in einem Stock versteckt sein. Mehr als 1500 Patente wurden während des 18. und 19. Jahrhunderts beantragt. Die beiden wesentlichen Eigenschaften des Systemstocks bestehen darin, etwas zu verbergen und mehrere Dinge oder Eigenschaften zu vereinen.

    Funde im Grab von Tutanchamun wie auch die mittelalterlichen Bischofsstäbe belegen, dass besonders geformte oder reich verzierte Stöcke seit Urzeiten als Herrschaftssymbol dienten. Aber erst Ludwig XIII. soll es gewesen sein, der den Stock als königliches Accessoire adelte. Das 19. Jahrhundert und der Anfang des 20. Jahrhunderts wurden zur Epoche des Spazierstocks. Die ungeheure Nachfrage weckte zugleich den Ehrgeiz, nicht bloss mit einem Allerweltsstock zu flanieren. Und so entstand eine Fülle einmaliger Stücke mit praktischen und seltsamen Griffen und einem geheimnisvollen Innenleben. Der Maler Henri de Toulouse-Lautrec etwa besass einen Stock, der eine Flasche umschloss, die einen halben Liter Absinth bereithielt.

    Der Stock und die Dame der Gesellschaft
    Als der Stock zum modischen Beiwerk des Mannes von Welt wurde, wollten die Damen diesem Trend in nichts nachstehen. Der Erfolg des Damenstocks hatte auch drei nachvollziehbare und zum Teil rein praktische Gründe: der aufkommende Emanzipationsgedanke, die hohen Absätze und der reine Spass mit dem spielerischen modischen Accessoire. Die Damenstöcke trugen im Griff Riechfläschchen, eine Dose für Riechsalz, eine Puderdose oder auch einen ausklappbaren Fächer. Manchmal waren die Stöcke auch mit einem Schirm kombiniert, der sich unter dem Knauf befand. Nachteil dabei war lediglich, dass die Dame beim Aufspannen des Schirms das Ende, das die Erde berührt hatte, in die Hand nehmen musste. Es gab aber auch Systemstöcke für Damen, in denen eine Waffe versteckt war. Damit konnten sie sich gegen Angreifer, aber auch wilde Hunde, welche in den Städten herumliefen, verteidigen. In der Ausstellung sind Vertreter all dieser interessanten Systemstöcke zu sehen. Als die Mode der Damen männlicher wurde, hielten die Damen gerne eine Gerte in der Hand. Als um 1850 die Damen zum ersten Mal auf offener Strasse rauchten, trugen sie dabei natürlich einen Spazierstock. Um 1900 führte der Wunsch der Frauen nach Emanzipation dazu, dass der Stock zum Begleiter wurde. Die elegante englische Dame trug Stock!

    Der dekorative Stock und der Volkskunststock
    Es steht fest: Stock ist nicht gleich Stock. Es gibt verschiedene Arten von Stöcken wie den Wanderstock, bei dem im Gegensatz zum Spazierstock der Nutzwert und nicht die Optik im Vordergrund steht. Im Allgemeinen unterscheidet man drei Arten von Gehstöcken: dekorative Stöcke, Volkskunststöcke und Systemstöcke. Die dekorativen Stöcke sind in erster Linie dazu da, ihren Träger noch stärker zur Geltung zu bringen, ihn in Szene zu setzen. Ihre Funktion ist in den meisten Fällen rein ästhetisch. Die Vielzahl der Materialien und Formen dieser dekorativen Stöcke ist nur durch die Fantasie der Handwerker, die sie herstellen, begrenzt. Sehr beliebte Materialien waren und sind hier Elfenbein, Gold, Silber, Porzellan, Juwelen, Emaille und sogar Glas. Anders verhält es sich bei den Volkskunststöcken, die die Aufmerksamkeit eher auf ihren Hersteller lenken sollen. Diese Stöcke sind weniger mit Gold und Edelsteinen geschmückt als vielmehr mit aufwendigen Schnitzereien. Beim Wanderstock kennt man die schlichten Spazierstöcke für Herren und leichte Ausführungen für Damen aus Bambus. Oder gewichtige Wanderstöcke, die mit sogenannten Stocknägeln verziert sind, einst der Stolz eines Wanderers, um die Orte zu dokumentieren, die er sich erlaufen hatte.

    Mit Leihgaben von Privatsammlungen aus der Region ist diese einzigartige Ausstellung zustande gekommen. In dieser Form wird sie exklusiv nur in Basel zu sehen sein. Das Ausstellungskonzept ist ebenfalls einzigartig. Die Systemstöcke werden mithilfe modernster Technik offen wie geschlossen zu sehen sein.

    pd


    Facts & Figures

    Spielzeug Welten Museum Basel
    Steinenvorstadt 1
    4051 Basel

    Öffnungszeiten Museum
    Dienstag bis Sonntag
    10 bis 18 Uhr

    Ristorante La Sosta und Boutique
    täglich von 9.30 bis 18 Uhr

    Für das Spielzeug Welten Museum Basel sind der Schweizer Museumspass und der Museums-PASS gültig.

    Eintritt
    7.– / 5.– Franken

    Kinder bis 16 Jahre haben freien Eintritt und nur in Begleitung Erwachsener.
    Kein Zuschlag für die Sonderausstellung. Das Gebäude ist rollstuhlgängig.

    www.swmb.museum

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