Handschrift – ewige Magie!

     


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Wann haben Sie das letzte Mal etwas von Hand geschrieben? Ich meine nicht auf der Tastatur Ihres Natels oder Laptops, sondern mit Stift und Papier. Für mich ist das Magie pur: Die Haptik des Papiers als Untergrund – Schreiben mit dem Stift ist wie Schlittern auf dem Eis. Unkontrolliert. Ich liebe es, wenn meine Sinneszellen den Druck des Stiftes wahrnehmen. Traditionelles Schreiben lässt meine Glücksboten Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Endorphine, Phenethylamin und Oxytocin einen bunten Reigen tanzen. Ich fühle mich dann wie in der ersten Klasse, als ich endlich begriffen habe, wie diese Schnürchenschrift nun wirklich funktioniert. Damals habe ich geübt und geübt bis zum Umfallen, weil ich unbedingt ein Sticker fürs Schönschreiben bekommen wollte. Die heutigen Kinder lernen allerdings zum Teil eine andere Grundschrift, wie ich kürzlich bei meinen kleinen Neffen festgestellt habe. Sie besteht aus einzelnen Buchstaben und ist nicht mehr durch Zwischenzüge verbunden. Schade. Doch die meisten Menschen schreiben heute kaum noch etwas per Hand. Ich persönlich schreibe Einkaufslisten, hin und wieder Notizen, Briefe, Karten und Unterschriften von Hand. Ohne edlen Kugelschreiber, der für mich ein Schmuckstück ist, und Notizzetteln gehe ich in der Regel nicht aus dem Haus. Sie gehören wie Lippenstift und Puder zu meiner Basic-Ausrüstung. Ich liebe Schreibwaren und der Geruch in der Papeterie. Früher habe ich mein ganzes Taschengeld für Stifte, Spitzen, Gummis, Blöcke, Notizhefte und all die zauberhaften Büromaterialien ausgegeben. Einer meiner kleinen Neffen hält es gleich. Auf dem Schulweg macht er gerne einen Umweg zur hiesigen Papeterie und zeigt mir dann mit glänzenden Augen seine Trouvaillen. Einfach herrlich!

    Ich lebe vom Schreiben. Sofern ich ein Interview von Angesicht zu Angesicht führe, vor Ort oder live über eine Veranstaltung berichte, schreibe ich mir alles von Hand auf. Das habe ich bis jetzt immer so gehandhabt und werde ich auch künftig so tun. Es ist für mich angenehmer, als die Notizen einzutippen oder das Gesprochene aufzunehmen und dann mühsam abzuhören und aufzuschreiben. Es benötigt höchste Konzentration, das Interview zu führen und gleichzeitig die Gedankengänge des Gegenübers von Hand aufzuschreiben, so dass ich ein paar Stunden oder Tage später daraus noch einen logischen Artikel kreieren kann. Es ist Brainwork pur. Danach habe ich immer – was für mich eher ungewöhnlich ist – einen grossen Hunger. Wenn ich das Gesprochene im Gehirn aufnehme, abspeichere und gleichzeitig von Hand aufs Papier bringe, passiert etwas Wesentliches in meinen Gehirngängen. Die Geschichte manifestiert sich in meinem Gedächtnis. Irgendwie entsteht dann zusammen mit all den anderen optischen und emotionalen Eindrücken der Artikel wie von selbst. Ich muss nur noch mit Schreiben beginnen und es fliesst. Ich finde, wer per Hand auf Papier schreibt, ist klar im Vorteil: Es ist Training für Herz und Hirn: Es stärkt sein Sprachbewusstsein, hält den Geist beweglich und bleibt unabhängig und kognitiv agil. Das Schreiben von Hand verlangt mehr Feinmotorik. Beim Handschreiben müssen mehr als dreissig Muskeln und fünfzehn Gelenke koordiniert werden, was zwölf verschiedene Hirnareale beansprucht. Zudem wird die Fantasie angeregt und gefördert und es fliessen ganz andere Energien als beim Tippen – Energien, die mich mit dem Universum verbinden, mich erden und mich reflektieren. Ich bleibe dann ganz bei mir. Dies gilt übrigens auch für Lesen in Büchern und Zeitungen. Das Leseerlebnis ist anders, wenn man ein Buch oder eine Zeitung in der Hand hat, die Seiten umblättert, noch die Druckerschwärze riecht und das Papier auf den feinen Sensoren in unseren Fingerkuppen spürt – sämtliche Sinnesreize werden aktiviert – ein wunderbares Gefühl für mich.

    Das Handschriftliche hat eine Aura, der ich mich nicht entziehen kann. Jede Handschrift ist unverwechselbar, verändert sich im Laufe eines Lebens und bleibt doch charakteristisch, genau wie die Stimme. Die Handschrift überlebt folglich überall, wo ihr etwas eigen ist, das Maschinenschrift nicht hat: ästhetische Schönheit, private Anmutung, emotionale Kraft. Mit einer handgeschriebenen Widmung lässt man den Empfänger in seine Seele blicken, denn man schenkt ihm etwas von sich selbst. In diesem Sinn, greifen Sie zu Papier und Griffel und lassen Sie ihre Gedanken fliessen und ihre Seele tanzen.

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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