«Intelligente» Stadt – «Wir lassen viel ungenutztes Potenzial liegen»

    Von Basel aus lobbyiert Mike Vogt, ein Vorkämpfer der «Smartifizierung»

    Letzte Woche stellten wir im Vorfeld der SmartSuisse 2017 die Frage: Wie wird eine Stadt zur «Smart City» und wie weit ist Basel davon entfernt. Nach der Fachmesse sprachen wir mit einem absoluten Kenner der Thematik, Initiator und Managing Director Mike Vogt, über die neuesten Erkenntnisse. Sein Fazit: Die Smart City beginnt zu Hause und entwickelt sich über die Quartiere auf das gesamte Stadtgebiet aus. Das Verhältnis Stadtverwaltung-Bürger war bisher eher eine Einbahnstrasse. Das muss sich ändern.

    (Bild: zVg) Mike Vogt mit Regierungsrätin Eva Herzog: «Die Bürgerinnen und Bürger müssen viel mehr im Dialog mit der Stadtverwaltung eingebunden werden.»

    Die SmartSuisse war komplett ausgebucht mit dem Besuch von über 400 Entscheidern aus über 90 Städten. Dies zeige, so Mike Vogt, dass ein echtes Bedürfnis im Markt angesprochen wird. Die Messe Organisatorin MCH Group Schweiz hat Basel als Drehscheibe für das Thema ausgesucht. In praktisch jedem Referat wurde auf die Wichtigkeit hingewiesen, die Silos aufzubrechen und strategische Projekte branchen- und ämterübergreifend anzugehen. Mike Vogt: «Die Städte St.Gallen und Winterthur sind bezüglich der so genannten ‹Smartifizierung› führend. So hat St.Gallen an der SmartSuisse Ihr Smartnet vorgestellt, ein LoRa Funknetzwerk, das bereits stadtübergreifend im Einsatz ist und nur darauf wartet mit Dienstleistungen und Applikationen von Drittfirmen genutzt zu werden. Auch die Stadt Genf ist in einer guten Ausgangslage, denn die Smart City Projekte werden vom OPI, dem Office de Promotion des Industries et des Technologies, stark gefördert und ein Smart City Manager koordiniert alle Aktivitäten. Zürich, Basel und Bern haben Nachholbedarf. Wichtig scheint mir, dass das Bewusstsein in Basel vorhanden ist. Die Smart Regio Basel Initiative ist ein grosser Schritt in die richtige Richtung.»

    Es geht hierbei um ein Joint Venture zwischen IWB und dem Gewerbeverband Basel Stadt. Dieses müsse, so Vogt, nun so rasch wie möglich mit konkreten Projekten alimentiert werden. Die App NordwestMobil von PostAuto zum Beispiel ist bereits im Einsatz.

    Warum wird die Stadt nicht «einheitlich» organisiert?
    Es müssten jedoch in den Städten beziehungsweise in urbanen Regionen alle am gleichen Strick ziehen. In vielen Städten wird eine Stadtentwicklung, eine Standortförderung und eine Tourismus Organisation betrieben. Es mache aber, so Vogt, keinen Sinn und ist für die Vermarktung einer Stadt alles andere als effizient. Eine einheitliche Organisation könne das Image und die Bekanntheit einer Stadt viel besser fördern. Darum schaue er gespannt auf die Abstimmung am 21.Mai 2017 in Winterthur. Das Stimmvolk wird darüber entscheiden, ob die Standortförderung und Tourismus-Winterthur fusioniert werden.

    Eine wesentliche Konklusion an der SmartSuisse war, dass es einen «Digital Layer» als Drehscheibe braucht, um die enorm vielen Daten einer Smart City professionell bewirtschaften zu können. Mike Vogt: «Smartes Strassenlicht und Smart Parking sind ideale Start-Projekte. Ein Beispiel: Wir haben heute in der Schweiz 10 Prozent LED Anteil am Strassenlicht. Es ist eine grosse Chance für die Stadtwerke bei der weiteren Förderung und Durchsetzung von LED zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen; nämlich neben der Umrüstung auf LED eine gleichzeitige ‹Versmartung› des Strassenlichts vorzunehmen und eben so einen Digital Layer einzuführen. Dieser Digital Layer kann danach für viele weitere Applikationen genutzt werden wie für die Messung und Übermittlung von Lärmschutz-Daten.» Auch Smart Parking biete den Städten die Möglichkeit, die öffentlichen Parkflächen viel effizienter zu bewirtschaften. Es gibt schon konkrete Lösungen, wie dies in die Realität umgesetzt werden kann.

    (Bild: fotolia) So soll die «Smart City» künftig funktionieren.

    Ohne «Smartifizierung» zu Problemfällen
    Natürlich wird in naher Zukunft auch im Jobmarkt die «Smartifizierung» Einzug erhalten. Neue Berufsbilder und Jobs der Zukunft werden entstehen. «Jede Stadt wird früher oder später einen Chief Digital Officer haben, beziehungsweise haben müssen», sagt Mike Vogt. Die Daten sind nämlich das Gold der Zukunft, auch in einer Stadt. Bei der Smartifizierung geht es am Schluss einzig und allein um Daten und wie diese in eine höhere Lebensqualität umgemünzt werden können. «Je früher die Städte sich mit dieser komplexen Thematik befassen und Know How aufbauen, desto besser. Wer sich diesem Trend verschliesst, wird einen hohen Preis dafür zahlen müssen», fügt Vogt hinzu. Das Beispiel mit der Taxibranche ist gegenwärtig. Diese gab sich sehr lange verschlossen gegen eine effizientere Mobiliät mittels App und Daten. Dann kam mit UBER ein Mitspieler im Markt, der nun die ganze Branche in Ihren Grundfesten erschüttert. Mike Vogt zeigt sich gerne visionär: «Seien wir mal ganz ehrlich: wer achtet heute noch auf die Strassensignalisation und Verkehrsführung? Google Maps und TomTom weisen den Weg und haben schon heute die Verkehrsleitung übernommen mittels der Navigationsgeräte. Die Städte hören dies nicht gerne, aber es ist Tatsache, dass amerikanische Firmen schleichend in die Verwaltung eingreifen. Es ist sehr wichtig, dass die Städte die Datenhoheit wieder an sich reissen.»

    Verhältnis Stadtverwaltung-Bürger muss sich ändern
    Das Verhältnis Stadtverwaltung-Bürger war bisher eher eine Einbahnstrasse. Ausser sich an Abstimmungen zu beteiligen, mussten sich die Bürger nicht um viel kümmern. Aber in dieser Einbahnstrasse gehe viel ungenutztes Potenzial verloren, betont Vogt. «Nehmen wir eine Stadt mit 10’000 Einwohner als Beispiel. Das scheint auf den ersten Blick nicht viel zu sein. Aber wenn wir die Sichtweise ändern und uns diese Stadt als Firma mit 10’000 Mitarbeiten vorstellen, dann ergibt sich ein gigantisches Potenzial an Wissen und Erfahrungen!» Es sei eben alles eine Frage der Sichtweise und darum die Einbindung und das Engagement der Bürger in Zukunft so wichtig. Mike Vogt nennt ein Beispiel: «Die App «Züri Wie Neu», mit der Bürger Infrastruktur-Schäden melden können wurde zuerst als Verpfeifer-App gebrandmarkt. Nun zeigt sich aber, dass die Stadtverwaltung sehr viele wertvolle Hinweise erhält und schnell auf Schäden und Probleme reagieren kann. Bisher wurden über 10’000 Anfragen erfolgreich umgesetzt.» Mike Vogt empfiehlt  allen Bürgerinnen und Bürger sich mit Ihrer Stadt intensiv auseinander zu setzen und Ihre Wünsche und Nöte der Stadtverwaltung mitzuteilen. Bei den regionalen Energieversorgern wie EBM, EBL oder IWB kann man Energieberatungsgespräche beantragen. «Man kann beispielsweise einen Vergleich verlangen, wie die Wohnung oder das Haus energetisch abschneidet und welche Massnahmen man ergreifen kann, um Energie und Geld zu sparen. Die Smart City beginnt zu Hause und entwickelt sich über die Quartiere auf das gesamte Stadtgebiet aus.»

    JoW


    Basels erste Schritte zur Smart City

    Basel-Stadt bezeichnet sich gerne als fortschrittliche Energiestadt und begibt sich auf den Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft. Man beteiligt sich an der Interessengemeinschaft Smart Cities Schweiz. Einige der Projekte in Basel passen gut in den Smart-City-Kontext wie die erste Solarstrom-Anlage in Basel mit farbigen PV-Modulen im Kohlesilo Gundeldingerfeld, die Zwischenspeicherung von solarem Strom in gebrauchten Batteriespeichern aus der Mobilität, der Gebrauch von Kommunalfahrzeugen mit alternativen Antrieben, die Wasserstoff-Tankstelle den und Busbetrieb, der Betrieb der Elektrobusse mit Batterieantrieb und der Schnellladestationen für E-Mobilität und weiteren Ladestationen im öffentlichen Raum (Blaue Parkierzone) sowie die so genannte «Modellierung der Stadt» als Energy Hub. Ausserdem: Mit SmartStability werden in einem Netz auf Quartier-Verteilerebene der Stromverbrauch der lokalen Stromproduktion angeglichen.


    Die Kritiker der «Smart City»

    Nicht alles ist von Vorteil, wenn so viele Daten zur Optimierung des Energiehaushaltes einer Stadt gesammelt werden. Auch das Thema der «Datenhoheit» ist ein schwieriges. So werden zum Beispiel in der Vorzeige-Smart City im Südkoreanischen Songdo von jeder einzelnen Person alle verfügbaren Daten zur Energiehaushalt-Optimierung gesammelt, was natürlich auch den Einblick in die Privatsphäre und ein so genanntes «Tracking» beinhaltet. In dieser Smart City wird man auf Schritt und Tritt «analysiert» und die Gewohnheiten werden ausgewertet. In der «Stadt, die mitdenkt» gibt es zwar viele Grünflächen, aber der autozentrierte Städtebau und die extreme «Smartifizierung» führt dazu, dass sehr wenig Leben auf den Strassen stattfindet.

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