Von wegen «altes Eisen» − Jammern ist keine Option

    Tendenz steigend: Viele von Entlassungen Betroffene im 2017 sind über 50 Jahre alt

    Ältere Arbeitnehmende verlieren ihren Job seltener, bleiben dann aber deutlich länger ohne Job als die Jüngeren. Wenn es jemanden der Generation 50+ erwischt, dann hat dies verheerende Folgen. Einmal mehr haben einige Entlassungswellen in grösseren Unternehmen der Region gezeigt, dass die «50+ Generation» besonders gefährdet ist, längerfristig auf dem Abstellgleis zu landen.

    (Bild: Fotolia) Die Option heisst Diversifikation: Arbeitgeber fordern mehr Flexibilität bei älteren Arbeitnehmenden.

    Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin ist ein vehementer Verfechter der These, dass man sich während seines ganzen Berufslebens laufend weiterbilden sollte. So sagte er zum Beispiel als Gastredner bei einem TEKO-Event in Basel, dass die Höheren Fachschulen einen wichtigen Platz in der Bildungslandschaft der Schweiz einnehmen würden. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt und Vorsteher des Departementes für Wirtschaft, Soziales und Umwelt: «In der innovationsstarken Schweiz werden in Höheren Fachschulen Studierende auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet. Es braucht neben den öffentlichen, universitären Angeboten in der Aus- und Weiterbildung auch jene der Privaten, die mit Engagement, Initiative und Innovation punkten und praxisnah unterrichten.» Und dieser Ansatz gilt auch für ältere Berufstätige. Weiterbildung und Diversifikation verhindere, so sagen viele Experten, dass man bei einem Verlust der Arbeitsstelle im «Niemandsland» stehe. In Interviews liess Brutschin auch verlauten, dass man es nicht dazu kommen lassen dürfe, dass eine zu hohe Prozentzahl an Arbeitsuchenden um 50 Jahre oder mehr unbedingt zu verhindern sei. Er sei im Austausch mit Leuten aus den verschiedenen Ü50-Organisationen und kenne auch privat Betroffene. Jemand aus seiner erweiterten Bekanntschaft habe nach einjähriger Erwerbslosigkeit wieder einen Job. «Das Problem ist oft ein Mismatch zwischen Anforderungen und Know-how. Der technologische Wandel läuft, und man kommt nicht immer mit. Man kann eine Berufskarriere heute nicht mehr nur mit dem einst Erlernten absolvieren. Auch die Konferenz Kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren vertritt die Position, dass die Arbeitsmarktfähigkeit der Arbeitnehmer zu stärken ist. Es braucht mehr Weiterbildung, möglicherweise auch mehr institutionalisierte Weiterbildung», sagte der Wirtschaftsdirektor zudem in einem BaZ-Interview.

    Lohneinbussen akzeptieren?
    Ein Teil des Problems liege bei den Betroffenen selbst, sagte jedoch unlängst Roland Müller, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Und er sorgte damit für viel Aufregung und musste dafür viel Kritik über sich ergehen lassen. Sein Standpunkt: Ältere Arbeitnehmende sollten auch bereit sein, auf einem anderen Lohnniveau eine Stelle anzutreten. Wenn man auch nicht genau dasselbe verdiene wie früher. Die Lohneinbusse sei häufig nach wenigen Jahren wieder aufgeholt. Müller verstand, so wurde er zitiert, seine Forderung nach Lohnverzicht als Aufruf. Konkrete Massnahmen, wie zum Beispiel mehr Druck auf ältere Arbeitslose bei der Arbeitslosenversicherung, brauche es derzeit hingegen nicht. Die Reaktionen waren indes erwartungsgemäss scharf. Dieser Aufruf, auf Löhne zu verzichten, findet Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, ziemlich verfehlt. Ältere Stellensuchende würden, so liess er verlauten, bereits heute sehr grosse Zugeständnisse machen. Sein Eindruck sei eher, dass es Arbeitgeber gebe, die nun versuchten, die Löhne zu drücken.

    (Bild: zVg / Franz Oehl) Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin: «20 Prozent Arbeitsuchende über 50 sind keine Option»

    Noch kein «Alarm» angesagt? Arbeitslosenzahl bei 50+-Berufsleuten zirka 4 Prozent
    «Gemäss Seco-Statistik sind in Basel derzeit 4 Prozent der Älteren Arbeitnehmenden auf Stellensuche. Hinzu kommen noch mehrere Hundert Ausgesteuerte», bestätigt Heidi Joos, Geschäftsführerin und Coach BSO von Avenir50plus. Dennoch liessen die letzten Entlassungen beispielsweise in der Basler Pharmabranche aufhorchen, weil auffällig viele ältere Arbeitnehmende davon betroffen waren. Man befürchtet eine Hausse der Arbeitslosenquote bei 50+-Berufsleuten in der Region. Daniel G. Neugart, der Präsident der in Basel beheimateten und äusserst aktiven Organisation «SAVE 50Plus Schweiz»: «In diesem Zusammenhang stützen wir uns nicht auf die Angaben von statistischen Zahlen und den Aussagen verschiedener Interessengruppen. Unser Verband ist direkt am Puls der direktbetroffenen, älteren Stellensuchenden. Wir erleben eine starke Zunahme von Hilfesuchenden im Grossraum Basel aber auch in der gesamten Schweiz. Wir kooperieren deshalb strategisch mit Personalberatungsfirmen, die als Multiplikatoren fungieren. Besonders auffällig ist, dass rund ein Drittel der Hilfesuchenden sich noch im Arbeitsprozess befindet und präventiv auf uns zukommt.» Daniel Neugart stellt fest, dass in den Betrieben auch ein steigender psychologischer  «Altersdruck» wahrgenommen und beobachtet werden könne. «Dieses neue Phänomen bereitet uns grosse Sorge. Vermehrt stellen wir auch fest, dass sich jüngere Menschen für die Thematik interessieren und oft sind es auch die erwachsenen Kinder, die ihre Eltern motivieren sich bei uns zu melden und diese auch an unsere Fachseminare begleiten. Die Situation wird sich zunehmend verschärfen. Das kann für niemanden überraschend sein, denn gerade die statistische Entwicklung konnte seit vielen Jahren vorhergesehen werden. Ein gesunder Menschenverstand hilft zurzeit weiter als schön- oder schlechtgelogene Statistiken.»

    Lösungsansatz: Weniger abhängig dank Weiterbildungen
    Es gibt jedoch verschiedene Modelle, wie man sich als 50+-Berufsmensch «weniger abhängig» machen kann. Welche Vorgehen sind aktuell zu empfehlen? Neugart: «Wir zum Beispiel propagieren unser Jobsplitting-Modell. Wir suchen keinen Job, sondern organisieren ein Einkommen mit zwei oder drei Jobsplits. In unseren Fachseminaren bereiten wir die Mitglieder auf den digitalisierten, flexiblen Arbeitsmarkt vor.» Dieses Vorgehen wurde beklatscht, aber auch schon oft von anderen Fachleuten kritisiert. Neugart betont, dass man sich als Dienstleister in einem Markt sehe und lösungsorientiert agiere. «Wir bringen das, was wir am besten können direkt dorthin wo es am meisten gebraucht wird. Wir bestimmen selbst das Pensum und den Preis und rechnen extern über unsere Kooperationspartner ab. Unterdessen gibt es bereits den virtuellen Arbeitgeber. Wir vermarkten unsere Stärken wie Kompetenz, Verfügbarkeit und Flexibilität. So sind wir für potenzielle Arbeitgeber hocheffizient und attraktiv», erklärt er das System.

    Tatsache ist: Der Jobmarkt ändert sich laufend. Nur schon die Energiewende wird viele neue Jobprofile «pushen» und man kann nun mit einer passenden Zusatz-Ausbildung/Weiterbildung sich ev. neu positionieren. Wie und in welchen Branchen sieht Daniel Neugart die Chancen für die 50+-Berufsleute im Berufsmarkt der Zukunft? Viele seien bereits überqualifiziert, sagt er. Und  deshalb oft zu teuer. Sein Standpunkt: Weiterbildung sei deshalb dann sinnvoll, wenn es in Kombination mit einem Einkommen in einem Unternehmen ist. «Eine berufsbegleitende Weiterbildung mit einer verkürzten Lehrzeit macht Sinn. So können alle sofort profitieren. Die Kosten können von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Regionalen Arbeitsvermittlungen (RAV) beziehungsweise mit den Sozialdiensten aufgeteilt werden. Unsere Generation hat eine Vorbildfunktion. Wir können unsere Verantwortung nicht wie einen alten Mantel an die Garderobe hängen. Wir haben eine Riesenchance in dieser flexiblen, digitalisierten Arbeitswelt, aber wir müssen uns selbst an der Nase nehmen und der Politik und der Wirtschaft Wege und Werte aufzeigen. Kleinpensen dürfen sozial nicht benachteiligt werden, denn genau an diesem Punkt haben wir in fast allen Branchen gute Karten in der Hand, um den Schuh wieder zwischen die Türe zu bekommen.» Sein Appell: «Wir müssen unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen, den der flexible Arbeitsmarkt steht einem politischen Stillstand gegenüber. Wir greifen direkt in den Arbeitsmarkt ein. Wir sind das Potenzial! Wir müssen offen sein und die Chancen erkennen. Vor allem nicht jammern und fluchen, denn man sich als Opfer darstellt, dann wird man auch so behandelt. Professionelles Selbstmarketing und Networking ist der Schlüssel zum Erfolg.»

    JoW

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