Prämierte Idee aus der Region: Urin für die Nahrungsmittelproduktion
Moritz Keller (29) und sein Team beschäftigen sich mit der Rezyklierung von Nährstoffen aus menschlichem Urin, um Nachhaltigkeit für die Nahrungsmittelproduktion zu erlangen.
Urin – das Wort hat vielleicht nicht die gleiche Konnotation wie «Rosenduft», aber der menschliche Urin wird mittlerweile intensiv genutzt für Therapien und in der Heilkunde, als Reinigungsmittel eingesetzt – aber auch als Dünger in der Nahrungsmittelproduktion. Bevor aber jemand ein «Iiihh» ausstösst, sollte man lesen, was Moritz Keller von «youtrition» dazu zu sagen hat. Er und sein Team haben für eine spannende Geschäftsidee zum Thema Düngen mit Urin und deren Umsetzung beim Projektwettbewerb Innovation Basel, bei dem die Basler Zünfte und Ehrengesellschaften zukunftsweisende Geschäftsideen von lokalen Jungunternehmern fördern, 2017 den dritten Platz belegt.
Moritz Keller hat, so sagt er mit einem gewissen Schalk, verschiedene Studiengänge erfolgreich abgebrochen. «Unter anderem Umweltingenieurwissenschaften und Neuroinformatik. Momentan bin ich kurz vor dem Abschluss des Bachelor of Arts in Produkt- und Industriedesign an der FHNW». Früher war er oft mit seiner Mutter auf dem Erdbeerfeld, pflückte diese, und kaufte auch häufig welche ein. Sein Fazit: «Die Gekauften waren jeweils geschmacklos, egal ob lokal und bio, oder von weit her importiert.» So hat er entschieden, selbst zu produzieren. «Ich habe mir ein paar Töpfe und Erde gekauft, und bin in der ersten Saison kläglich gescheitert.» Im Frühjahr des nächsten Jahres betrieb Moritz Keller youtube Recherche und ist so auf das Thema Aquaponic gestossen – ein System bei welchem Fische gefüttert werden, damit deren Ausscheidungen als Pflanzendünger genutzt werden können. «Also habe ich über mehr als ein Jahr mit Aquariumfischen und Kräutern versucht, funktionierende Systeme zu bauen und habe dabei auch das eine oder andere Mal eine Überschwemmung im Wohnzimmer verursacht.» Das mit den Pflanzen habe nicht so richtig geklappt und eines Tages habe er sich gefragt, wofür eigentlich die Fische füttern, wenn doch der eigene Urin als Nährstoff verwendet werden könnte. «Ich habe dies zuerst recherchiert, und mich dann entschieden das Experiment zu wagen. Am nächsten morgen waren die Pflanzen sichtbar gewachsen.»
Rezyklierung von Nährstoffen
Zwischen dem Zeitpunkt der ersten Experimente und der Gründung des gemeinnützigen Vereins youtrition sind dann zirka eineinhalb Jahre vergangen. Zwischen Sommer 2016 bis Ende 2017 wurden weitere Experimente gemacht und die Systeme weiterentwickelt. «Ich weiss nicht, ob wir unter den Begriff Start-Up fallen, da wir die Gründung einer AG zur Produktion und Vertrieb von Systemen erst auf Beginn des nächsten Jahres geplant haben», sagt Keller.
Einerseits ist seine Arbeit sehr technisch geprägt; die Systeme werden mit eigenen Steuerungen betrieben und man versucht durch diese Automatisierung einen Mehrwert für den Nutzer zu schaffen. Dazu gehöre beispielsweise Rapid-Prototyping mit 3D Druck und Laser-Cutter oder Experimentierreihen mit verschiedenen Sensortypen oder LED Beleuchtungen. «Andererseits bin ich mit den operativen Geschäften des Vereins, sowie den Vorbereitungen für die Gründung der AG beschäftigt. Dazu gehört einerseits die Einrichtung einer Demonstrationsanlage in Pratteln, aber auch die Entwicklung und Evaluation von Geschäftsmodellen. Davon ist vieles für mich Neuland und ich bin sehr froh, von vielen Seiten Unterstützung zu erhalten.»
Diese Methode kennt einige Vorteile: Wenn der Urin lokal verwertet wird, wird die Kanalisation weniger belastet. Die energieintensive Aufbereitung von Abwasser könnte so also zum Teil eingeschränkt werden. Durch eine indirekte Verwertung zu pflanzlicher Nahrung entstehen zusätzliche Vorteile. Es muss weniger Nahrung durch Grossverteiler gelagert, transportiert und verkauft werden, da sie lokal geerntet werden kann. Dies erlaubt es, auch die Früchte in reifem Zustand zu ernten und Sorten zu wählen, die nicht auf gute Transportfähigkeit und Haltbarkeit hin optimiert sind. «Auch kann in der Produktion der Nahrungsmittel enorm viel Energie gespart werden, da die industrielle Produktion auf künstlich erzeugtem Stickstoffdünger basiert. Kurz gesagt: Wir verschwenden Energie um den Urin loszuwerden, produzieren aber gleichzeitig dessen Hauptinhaltsstoff unter Verwendung von einem Prozent des gesamten globalen Energieverbrauchs. Anstatt die Umwelt zu zerstören um geschmacklose Massenware zu essen, sollten wir Umdenken und auf clevere lokale Produktionsweisen umstellen.»
Verschiedene «Beschaffungsmethoden»
Der Urin muss natürlich «gesammelt» werden. Eine der Entwicklungen von youtrition ist ein simples Urinalsystem, das für herkömmliche 10 Liter Kanister konzipiert ist. Dieses verwendet Moritz Keller selbst um den eigenen Urin zu sammeln. Ebenfalls arbeitet youtrition mit der Toiletten Vermietungsfirma Kompotoi AG zusammen als weitere Bezugsquelle. Tierurin benutzen Keller und sein Team nicht. Die lokale Verwertung von menschlichem Urin steht im Vordergrund. Er möchte ein Gegenpol sein zur industriellen Landwirtschaft aber auch zum Tierproduktekonsum. Nach dem Motto; wer schmackhafte und frische Erdbeeren hat, isst tendenziell weniger Käse oder Schinken. Keller: «Sehr wichtig ist mir dabei aber, nicht mit dem Zeigefinger daher zu kommen, sondern die Vorteile überzeugend aufzuzeigen. Nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Gesundheit.» Seine Vision ist, die Verwertung von Urin zu Nahrung zu verbreiten und weiterzuentwickeln, um dadurch ein einfaches Werkzeug für den Versuch der Abwendung der drohenden Klimakatastrophe zur Verfügung zu stellen. Klimaschutz solle nicht a priori Verzicht bedeuten, aber wenn möglich mit einer Steigerung der Lebensqualität einhergehen. «Ich glaube, dass beide dieser Ansprüche gleichzeitig verfolgt werden können.»
Demo-Anlage in Pratteln und eine neue Düngertankstelle
Die Reaktionen bei den Leuten seien ganz verschieden, so Keller. «Manchmal stossen sich die Leute an der Verwendung von Urin, gerade aber Menschen mit ruraler Herkunft und einem Bezug zur Landwirtschaft haben damit überhaupt kein Problem. Grundsätzlich sind die Reaktionen sehr positiv, da es im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen ist, dass Handlungsbedarf besteht, und die Initiative begrüsst wird.»
Noch ist das System nicht zur Anwendung gekommen, weil die Produktentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Aber bereits wurden «Useability Tests» mit Prototypen durchgeführt. Momentan bauen Keller und sein Team in Pratteln eine grosse Demonstrationsanlage. Die Inbetriebnahme ist auf Mitte Juni geplant. In den vergangenen zwei Jahren haben sie an verschiedenen Standorten die Verfahren erfolgreich demonstriert und durch die gewonnenen Erfahrungen verfeinern können. Bald kommt zusätzlich eine Düngertankstelle, bei welcher Brennesseljauche getankt werden kann. So will man nachhaltigen Dünger verbreiten und eine Einnahmequelle schaffen.
JoW,
Mitarbeit: Daniele Ciociola
Gereinigt und sterilisiert…
Menschen und Tiere zerlegen die Nahrung in ihre einzelnen Bestandteile und scheiden diese wieder aus. Die Pflanzen wiederum bauen sich aus diesen Bestandteilen wieder auf, so dass sich durch den erneuten Verzehr der Kreislauf schliesst. Entsprechend hat natürlicher Urin bereits eine optimale Zusammensetzung als Pflanzendünger. Alle wichtigen Nährstoffe sind darin in einem für Pflanzen sehr bekömmlichen Verhältnis vorhanden. Es ist aber wichtig, dass der Urin gereinigt wird, um ihn so von Stoffen zu befreien, die wir nicht in die natürlichen Kreisläufe einbringen wollen. Beispielsweise müssen Rückstände von Medikamenten, welche von den Pflanzen wieder aufgenommen werden könnten, eliminiert werden. Auch ist es wichtig, dass der Urin sterilisiert wird, so dass eine gesundheitlich unbedenkliche Verwendung möglich wird. Und was passiert mit dem Urin, der nicht benötigt wird? «Das ist bisher noch nicht vorgekommen. Temporäre Überschüsse wurden jeweils bis zum Verwendungszeitpunkt gelagert.»
Marketing für eine Idee
Die Teilnahme am Projektwettbewerb Innovation Basel war nicht nur wegen des Preisgeldes wertvoll. Auch die Folgeanlässe konnten für die Bewerbung der Idee genutzt werden. So wurde youtrition unter anderem an der MuBa die Möglichkeit geboten, sich zu präsentieren. Dadurch konnte Marktforschung betrieben und die Sichtbarkeit erhöht werden. Ebenfalls sind dadurch wertvolle Kontakte entstanden.