Viel Swissness auf der Bühne

    FRAUENPOWER – Lena-Lisa Wüstendörfer hat vor fünf Jahren ihr Swiss Orchestra gegründet. Im Oktober steht die siebte Schweizer Tournee an, gespielt wird vom 26. Oktober bis am 5. November in Zürich, Basel, St. Gallen, Andermatt und Winterthur. Die Zürcher Dirigentin liebt den Teamgeist, höchste Qualität auf der Bühne und belebt gerne die Schweizer Klassik.

    (Bilder: Dominic Büttner) Ernste und andere Musik: Lena-Lisa Wüstendörfer bietet Klassik, die man garantiert noch nie gehört hat.

    In der Schweiz gibt es nur wenige Spitzendirigentinnen, eine davon sind Sie. Wie steinig war der Weg und was hat Sie zur Musik gebracht?
    Lena-Lisa Wüstendörfer: Es gibt in der Tat nur wenige Dirigentinnen in der Schweiz. Für mich ist aber nicht zentral, dass ich als Frau dirigiere. Wichtig ist mir die Musik, die ich liebe. Ich bin in einem Künstlerhaushalt aufgewachsen, mein Vater war Schauspieler. Schon meine Eltern haben mich regelmässig zu Konzerten mitgenommen und so bin ich mit klassischer Musik aufgewachsen.

    Sie haben nach Ihrem Violinestudium noch Dirigieren studiert. Was fasziniert Sie daran?
    Zusammen mit meinem Orchester eine Partitur einzustudieren und diese dann live vor Publikum zu spielen, ist ein wunderbares Erlebnis. Neben dem genauen Umsetzen der Partitur, bleibt beim Dirigieren auch viel Gestaltungsfreiraum. Wir alle wissen beispielsweise nicht genau, wie eine Sinfonie eines Komponisten aus der Klassik zu seinen Lebzeiten wirklich geklungen hat. Um dem auf die Spur zu kommen, lese ich mich in der Musikgeschichte ein und interpretiere die Partitur.

    Als Dirigentin steht man im Rampenlicht, was schätzen Sie besonders am Bühnenleben?
    Das Rampenlicht ist nicht so wichtig für mich. Was mir am Herzen liegt, ist die Live-Performance. Zusammen mit dem Orchester etwas Einzigartiges zu erschaffen und damit das Publikum für klassische Musik zu faszinieren.

    Dirigieren hat mit Führen zu tun. Was braucht eine Frau, um ein 50-köpfiges Orchester erfolgreich zu dirigieren?
    Ich denke, genau das Gleiche wie ein Mann. Als Dirigentin bin ich zwar die Chefin am Pult, aber immer in Absprache und Übereinstimmung mit meinen Musikerinnen und Musikern. Nur wenn alle in die gleiche Richtung ziehen, kommen wir effizient und überzeugend ans Ziel.

    Eine Partitur einzustudieren, ist eine komplexe Angelegenheit. Wie gehen Sie vor?
    In der Tat gehört da viel Studium dazu. Auch Recherchen, wie ein Stück, damals, als es komponiert worden ist, geklungen haben könnte. Da ist viel Detailarbeit gefragt.

    Noch immer sind Frauen in diesem Business rar. Wie haben Sie Ihren Weg in dieser männerdominierten Branche erlebt?
    Wichtig ist die Musik und nicht die Tatsache, dass ich nun eine Frau bin. Es gibt nun mal typische Männerberufe, das liegt traditionsbedingt in der Natur der Sache. Aber heute gibt es auch Astronautinnen oder hochdotierte Frauen im Militär. Die Zeiten ändern sich und eines Tages wird das kein Thema mehr sein.

    Sie wurden vom grossartigen Claudio Abbado als Assistenzdirigentin angenommen. Wie war für Sie das Assistieren bei diesem Weltstar und was haben Sie von ihm gelernt?
    Es war eine Ehre und unglaubliche Erfahrung zugleich. Mit einem derartigen Ausnahmekünstler zusammenarbeiten zu dürfen, ist durch nichts zu toppen. Ich habe viel von ihm gelernt und bin ihm dafür sehr dankbar.

    Die Zürcherin Lena-Lisa Wüstendörfer ist die Frau mit dem Zauberstab – sie dirigiert das Swiss Orchestra und ist Intendantin von Andermatt Music.

    Sylvia Caduff, die Dirigentenpionierin aus Luzern, gehört zu Ihren Vorbildern. Wie hat sie Sie geprägt?
    Auch sie ist eine Ausnahmekünstlerin. Ich schätze sie sehr und sie hat mich in meiner Laufbahn und bei meinen Entscheidungen sehr unterstützt. Die Solidarität unter Künstlerinnen und Künstlern ist ein grosser Wert in unserem Beruf.

    Sie haben das Swiss Orchestra gegründet und sind im Herbst 2019 zum ersten Mal auf Schweizer Tournee gegangen. Das Orchester umfasst rund 50 Musikerinnen und Musiker. Wieso gerade ein so grosses Orchester für den Einstieg?
    50 Musikerinnen und Musiker sind eine Standardgrösse für ein Sinfonieorchester mit Klassikrepertoire. Es liegt also auf der Hand, dass ich so gestartet bin. Mit einem kleineren Kammerorchester könnte ich die Sinfonien aus der Zeit der Klassik gar nicht auf die Bühne bringen, das liegt an der Orchestrierung, die von den Komponisten vorgesehen ist.

    Was sind für Sie die grössten Herausforderungen bei Ihrem Job?
    Ich möchte immer die beste Qualität auf die Bühne bringen. Voraussetzung dafür ist, die richtigen Musiker im Orchester zu haben und zu Höchstleistungen zu motivieren. Intuitiv merken nicht nur Spezialisten, sondern auch ein Laienpublikum, ob ein Konzert wirklich gut ist oder nicht.

    Sie entstaubten die Schweizer Klassik. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht und was sagen Sie über die Schweizer Werke der Klassik und Romantik?
    Ich habe die Schweizer Klassik eher wiederbelebt als entstaubt. Bei meinen Recherchen in Nachlässen und Archiven bin ich auf echte Trouvaillen von Schweizer Komponisten gestossen. Es fasziniert mich, diese Werke aus Schweizer Hand wieder zu Gehör zu bringen und mit dem Standardrepertoire in Kontext zu setzen.

    Sie sind Intendantin von Andermatt Music. Was bedeutet dieses Amt für Sie?
    Andermatt als Knotenpunkt zwischen Nord und Süd ist ein idealer Ort für unsere Homebase. Wir sind das Residenzorchester und bespielen den neuen Saal während dem ganzen Jahr. Die Anordnung des Saals ist einzigartig. Publikum und Orchester sind sich sehr nah, was für eine familiäre Atmosphäre sorgt.

    Im Oktober steht die siebte Schweizer Tournee an. Was wünschen Sie sich für diese Konzerte?
    Wir gehen mit einer Sinfonie von Franz Xaver Schnyder von Wartensee auf Tour. Ich freue mich riesig darauf. Wir haben sein grosses Werk in der Zürcher Zentralbibliothek als von Tinte geschriebenes Manuskript entdeckt. Extra für die Tour haben wir es neu editiert, und so wird es von uns nach rund 200 Jahren wieder einem breiten Publikum quer durch die Schweiz präsentiert.

    Interview: Corinne Remund


    DAS SWISS ORCHESTRA

    Orchester für die ganze Schweiz

    Das Swiss Orchestra wurde 2018 von Lena-Lisa Wüstendörfer gegründet und verschreibt sich der Schweizer Sinfonik. Populäre Werke grosser Klassiker werden unbekannteren, aber qualitativ hervorragenden sinfonischen Werken von Schweizer Komponisten gegenübergestellt. Im Dezember 2020 veröffentlichte das Orchester seine Debüt-CD mit zwei Weltersteinspielungen. Das Orchester setzt sich aus Berufsmusikern der jüngeren Generation zusammen, erstklassige Instrumentalisten aus angesehenen Sinfonie- oder Kammerformationen. Das Swiss Orchestra versteht sich als Orchester für die ganze Schweiz und wird auch in Zukunft auf Tour zu erleben sein. Seit Januar 2022 fungiert das Ensemble zudem als Residenzorchester der Andermatt Konzerthalle.

    Die Tourdaten 2023:
    26.10.2023 19.30 Uhr, Tonhalle Zürich
    27.10.2023 19.30 Uhr, Tonhalle St.Gallen
    28.10.2023 19.30 Uhr, Andermatt Concert Hall
    04.11.2023 19.30 Uhr, Basel Stadtcasino
    05.11.2023 17 Uhr, Winterthur Stadthaus

    www.swissorchestra.ch/konzerte-tickets

    Vorheriger ArtikelS****** Tage haben alle
    Nächster ArtikelDie Macht der (Kinder)bücher